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Müllproblem 12.05.2025, 07:00 Uhr

Milliarden Windeln im Müll: Neue Lösung fürs Recycling

Weltweit landen jährlich Milliarden Windeln im Müll, doch ihr Recycling bleibt bislang eine große Herausforderung. Ein Forscherteam des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts in Reutlingen (NMI) hat nun einen entscheidenden Schritt gemacht: Dank eines enzymatischen Verfahrens gelang erstmals der gezielte Abbau der Zellulose in Windel-Verbundmaterialien.

Zwei Stapel unbenutzter Windeln.

Windel lassen sich bislang nur schlecht recyclen, doch es gibt neue Ansätze.

Foto: antherMedia / towfiq007 (YAYMicro)

Windeln stellen ein enormes Abfallproblem dar, da sie zu den am häufigsten entsorgten Einwegprodukten zählen. Während Materialien wie Papier, Glas oder Kunststoff längst erfolgreich recycelt werden, ist das bei Windeln kaum der Fall. Weniger als ein Prozent der weltweit anfallenden Windeln werden bislang recycelt, obwohl sie etwa zehn Prozent des Hausmülls ausmachen – in Pflegeeinrichtungen kann der Anteil sogar bis zu 70 Prozent betragen. Die größte Hürde beim Recycling von Windeln ist die Trennung der Zellulose vom sogenannten Superabsorber, der große Mengen Flüssigkeit aufnimmt. Genau an diesem Punkt setzt die jüngste Entwicklung des NMI an.

Im Rahmen des Invest BW-Projekts Encycling ist es dem Team um Anne Zeck gelungen, mithilfe von Enzymen die Zellulose in Windel-Verbundmaterialien gezielt abzubauen. Windeln bestehen aus einer komplexen Mischung: Die weiche Zellulose sorgt für Tragekomfort, während der Superabsorber – ein Polymer auf Basis von Natriumpolyacrylat – für die hohe Saugfähigkeit verantwortlich ist. Beide Komponenten sind grundsätzlich recycelbar, doch ihre Trennung ist technisch anspruchsvoll und nicht bei allen Herstellern durchführbar. Die neue Methode des NMI bietet einen Ansatz, um dieses Problem zu lösen.

Recycling-Herausforderung: Trennung von Zellulose und Superabsorber

Ein wesentliches Hindernis beim Windel-Recycling ist die stark gelförmige Masse, die entsteht, wenn Zellulose und Superabsorber mit Flüssigkeit in Kontakt kommen. „Dann entsteht daraus eine gelförmige Masse. Eine gute Durchmischung und Behandlung der Masse mit Enzymen wird dadurch unmöglich“, erklärt Projektleiterin Anne Zeck. Durch Zugabe von Kalziumchlorid gelingt es jedoch, die gebundene Flüssigkeit aus dem Superabsorber zu lösen, sodass die geschredderte Windelmasse besser durchmischt und weiterverarbeitet werden kann.

Der nächste Schritt bestand darin, geeignete Enzyme zu finden, die in der Lage sind, die Zellulose in diesem speziellen Umfeld effizient abzubauen. Zwei zentrale Anforderungen mussten dabei erfüllt werden: Die Enzyme sollten zuverlässig im feuchten Windelmaterial wirken und zugleich wirtschaftlich einsetzbar sein. Unterstützt wurde das NMI-Team bei der Auswahl der passenden Enzyme von der Firma Candidum. Die passenden Enzyme konnten schließlich den Abbauprozess in der Windelmasse erfolgreich in Gang setzen.

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Neuartiger Recycling-Ansatz mit Enzymen

Für den Praxistest setzte das Forscherteam 0,7 Gramm der ausgewählten Enzyme auf 5,8 Kilogramm geschreddertes und angefeuchtetes Windelmaterial an – denn Windeln werden in der Regel im gebrauchten, also feuchten Zustand entsorgt. Die Mischung wurde mehrere Tage lang bei 50 Grad Celsius geschüttelt. In diesem Zeitraum gelang es den Enzymen, rund 800 Gramm Zellulose abzubauen und in Zucker umzuwandeln, der mit der wässrigen Phase entfernt werden konnte. Zurück blieb eine Restmasse von fünf Kilogramm, die überwiegend aus Superabsorber bestand.

Dieser Erfolg markiert einen bedeutenden Fortschritt auf dem Weg zu einem besseren Windel-Recycling. Im nächsten Schritt soll die Firma ARCUS Greencycling im Technikumsmaßstab prüfen, ob das durch den Zellulose-Abbau entstandene Material besser chemisch recycelt werden kann. Dabei steht vor allem die Pyrolyse im Fokus – ein Verfahren, bei dem das Verbundmaterial in seine Grundstoffe aufgespalten wird, um die Rohstoffe erneut in den Kreislauf einzubringen. Auch die Nutzung der zuckerhaltigen Flüssigkeit will das Team weiter erforschen. Erst wenn der Wasserverbrauch optimiert und alle Stoffströme sinnvoll genutzt werden, gilt das Recycling als wirklich erfolgreich.

Perspektiven für nachhaltiges Windel-Recycling

Der erfolgreiche Einsatz von Enzymen im Windel-Recycling ist ein neuer Ansatzpunkt, dem jedoch weitere Schritte folgen müssen. Das Projekt hat gezeigt, dass die enzymatische Vorbehandlung von Windel-Verbundmaterialien eine vielversprechende Alternative zu bisherigen, energieintensiven Methoden darstellt. Ziel ist es, eine wirtschaftliche und umweltfreundliche Lösung zu etablieren, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch überzeugt. Die vollständige Rückführung der Wertstoffe in den Kreislauf bleibt das erklärte Ziel.

Das NMI Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut in Reutlingen ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die an der Schnittstelle von Bio- und Materialwissenschaften arbeitet. Das NMI wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden-Württemberg gefördert und ist Teil der innBW, einem Zusammenschluss von zwölf außeruniversitären Forschungsinstituten.

Mit dem Durchbruch beim enzymatischen Abbau von Zellulose in Windel-Verbundmaterialien hat das NMI einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des Windel-Recyclings geleistet. Die Ergebnisse zeigen, dass kreative Ansätze und interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend sind, um das Recycling von bislang kaum verwertbaren Abfallströmen voranzubringen und nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.

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Von Julia Klinkusch
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