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Bürokratieabbau versus Nachhaltigkeit 23.05.2025, 09:00 Uhr

Weniger Berichten! Mehr Unsicherheit?

Die EU ist dabei, sowohl Berichterstattungspflichten über Nachhaltigkeit als auch unternehmerische Sorgfaltspflichten zu vereinfachen. Dies soll vor allem kleine und mittlere Unternehmen entlasten. Die EU-Kommission hat dazu im Februar Vorschläge im ersten „Omnibus“-Paket vorgelegt, über die das EU-Parlament und der Rat der EU nun – möglichst in einem Schnellverfahren – beraten. Doch viele Unternehmen haben sich bereits auf die beschlossenen Berichts- und Sorgfaltspflichten vorbereitet.

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Das Berlaymont-Gebäude in Brüssel ist Sitz der Europäischen Kommission. Es steht an der rue de la Loi/Wetstraat, wo die Straße den Robert-Schuman-Kreisel bildet.

Foto: PantherMedia/bloodua

Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren mehrere Regelwerke im Bereich der Nachhaltigkeit verabschiedet. Dazu zählen die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung (CSRD), die EU-Taxonomie-Verordnung, die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) sowie das CO2-Grenzausgleichssystem, die CBAM-Verordnung. Diese Regulierungen sollen die Transparenz unternehmerischen Handelns erhöhen, die Nachhaltigkeitsleistung durch eine verpflichtende Berichterstattung stärken beziehungsweise verhindern, dass die Produktion emissionsintensiver Güter in Nicht-EU-Länder verlagert wird. Sie bringen jedoch erhebliche bürokratische und operative Herausforderungen mit sich.

Um dem steigenden Bürokratieaufwand entgegenzuwirken und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in der EU zu sichern, hat die Europäische Kommission am 29. Januar 2025 den „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vorgestellt. Das Ziel ist, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen innerhalb der EU zu senken. Im Zuge dessen hat sie kurz darauf am 26. Februar 2025 bereits ein erstes „Omnibus“-Paket veröffentlicht. Es enthält mehrere Vorschläge für Anpassungen von EU-Vorschriften mit dem Ziel, Unternehmen zu entlasten und etwa den Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu reduzieren.

Berichte auszufüllen, braucht Zeit und kann Nerven kosten.

Foto: PantherMedia/Elnur (YAYMicro)

Vereinfachungen versprochen

Während diese Maßnahmen auf den ersten Blick Vereinfachungen versprechen und positiv erscheinen, beeinträchtigen sie die Verlässlichkeit der Nachhaltigkeitsregulierung und führen zu erheblicher Planungs- und Rechtsunsicherheit. Viele Unternehmen haben sich bereits seit geraumer Zeit auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorbereitet und dabei in den Aufbau interner Strukturen, die Rekrutierung von Fachpersonal sowie die Anschaffung geeigneter Softwarelösungen investiert. Angesichts der umfassenden Vorbereitungen ist es nachvollziehbar, dass die aktuelle Unsicherheit zu Unmut führt.

Mit den geplanten Omnibus-Paketen strebt die EU-Kommission grundsätzlich die Reduktion des bürokratischen Aufwands für Unternehmen, Vereinfachungen für Investitionen innerhalb der EU und die Reduktion der regulatorischen Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung an. Mit der Verbindung der Ziele Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz sollen Unternehmen in der EU ertragreicher wirtschaften und gemeinsame Ziele wie die des EU-Green-Deals erreichen.

Ein Beispiel: Ein Ziel des ersten Omnibus-Pakets ist es, den Verwaltungsaufwand der Nachhaltigkeitsberichterstattung in Unternehmen, um mindestens einen Viertel zu senken, bei mittelständischen Unternehmen sogar um 35 % im Vergleich zu den bisherigen Regelwerken.

Weniger über Nachhaltigkeit berichten

Wesentliche Änderungen schlägt die EU-Kommission beispielsweise in der Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß der CSRD vor. Rund 80 % der bislang von der Richtlinie betroffenen Unternehmen sollen künftig von der Berichtspflicht ausgenommen werden. Zudem soll sichergestellt werden, dass kleinere Unternehmen innerhalb der Wertschöpfungskette nicht übermäßig durch berichtspflichtige Kunden belastet werden können. Durch die bereits am 14. April veröffentlichte „Stop-the-Clock“-Richtlinie verschiebt sich zudem der Beginn der Berichtspflicht für Unternehmen, die ab dem Geschäftsjahr 2025 unter die CSRD gefallen wären, um zwei Jahre.

Weitere geplante Änderungen bezüglich der CSRD umfassen die Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf direkte Geschäftspartner, die Streichung der Einführung sektorspezifischer Berichtsstandards sowie Einschränkungen der Berichtspflichten für Unternehmen mit Muttergesellschaften in Drittstaaten. Für kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden gibt es keine Neuerungen.

Auch wenn viele Unternehmen aus der Berichtspflicht nach der CSRD herausfallen können, dürfen sie weiterhin freiwillig über ihre Nachhaltigkeitsthemen berichten. Der „Voluntary Sustainability Reporting Standard for SMEs“ (VSME) bietet hier gerade auch kleinen und mittelständischen Unternehmen eine standardisierte Grundlage.

Taxonomie-Berichtspflicht nur für Große

Die EU-Taxonomie soll helfen festzulegen, welche wirtschaftliche Aktivitäten als ökologisch nachhaltig gelten. Sie soll Unternehmen, Investoren und politischen Entscheidungsträgern damit eine Orientierung bieten, damit diese Investitionen bewusst in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten lenken können. Durch die hohen und teilweise technisch komplexen Datenanforderungen stellt die EU-Taxonomie für Unternehmen eine enorme Herausforderung dar.

Bisher war die Offenlegungspflicht der EU-Taxonomie direkt an die Pflicht zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts gemäß der CSRD gekoppelt. Dies soll sich durch die geplante Reform ändern. Das Omnibus-Paket sieht vor, dass Unternehmen mit weniger als 1 000 Mitarbeitenden und einem Umsatz unter 450 Mio. € nicht mehr der EU-Taxonomie unterliegen. Bei mehr als 1 000 Mitarbeitenden, aber einem Umsatz unterhalb dieser Schwelle, bleibt die Anwendung freiwillig. Unternehmen, die beide Schwellen überschreiten, müssen weiterhin alle Taxonomie-Kennzahlen offenlegen.

Unternehmen beziehen Teile für ihre Produkte oftmals aus vielen Ländern. Die Berichtspflichten zu ihren Lieferketten können jedoch geringer ausfallen als erwartet.

Foto: PantherMedia/AvigatoR (YAYMicro)

Vereinfachte Lieferkette für Große

Auch für die CSDDD hat die EU-Kommission zentrale Änderungen vorgelegt, die vor allem große Unternehmen entlasten sollen. Zum einen sollen die Umsetzungsfrist und der Beginn der ersten Anwendungswelle um ein Jahr auf 2028 verschoben werden. Zum anderen sollen die Sorgfaltspflichten künftig nur für direkte Geschäftspartner gelten, was den Aufwand entlang komplexer Lieferketten deutlich verringern würde.

Zwar sollen die betroffenen Unternehmen weiterhin jährlich über ihre unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Lieferketten im CSRD-Nachhaltigkeitsbericht Bericht erstatten, jedoch müssen sie ihre Maßnahmen zur Umsetzung dieser Sorgfaltspflichten nur noch alle fünf Jahre systematisch bewerten und überarbeiten. Und um Dominoeffekte zu verringern, dürfen berichtspflichtige Unternehmen bei kleineren Geschäftspartnern nur solche Informationen anfordern, die diese im Rahmen ihrer freiwilligen Nachhaltigkeitsberichterstattung etwa nach dem VSME-Standard bekannt geben. Weitere Anpassungen beziehen sich auf eine stärkere Harmonisierung, die Präzisierung der Klimapflichten sowie eine gestraffte Stakeholder-Einbindung.

Änderungen für den CBAM

Der CBAM, ein Instrument zur Bepreisung von in die EU eingeführten kohlenstoffintensiven Gütern, ist ebenfalls von den geplanten Vereinfachungen betroffen. Ziel des CBAM ist es, der Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland entgegenzuwirken, etwa wenn Unternehmen ihre Produktion in Länder mit weniger strengen Klimavorgaben verlagern oder wenn EU-Produkte durch emissionsintensivere Importe ersetzt werden. Hintergrund ist die durch den EU-Emissionshandel bedingte Verteuerung CO2-intensiver Produkte. Der CBAM soll daraus entstehende Wettbewerbsverzerrungen vermeiden. Betroffen sind bislang die Branchen Zement, Aluminium, Düngemittel, Eisen und Stahl, Wasserstoff, sowie Elektrizität.

Stahlproduktion im Hüttenwerk.

Foto: PantherMedia/tov_tob

Das Omnibus-Paket sieht eine neue De-minimis-Schwelle von 50 t/a vor, wodurch zwar 90 % der Importeure von der Regelung ausgenommen wären, aber dennoch etwa 99 % der Emissionen dieser CO2-intensiven Produkte von außerhalb der EU weiterhin vom CBAM erfasst bleiben. Diese Maßnahme erscheint sinnvoll, da Kleinstimporteure entlastet werden, die klima- und handelspolitische Wirksamkeit des Instruments aber nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Zudem sollen für verpflichtete Unternehmen Meldepflichten, Emissionsberechnungen und die Verwaltung der finanziellen Haftung vereinfacht werden.

Bewertung der Reformvorschläge

Einige Unternehmen sind erleichtert, dass ihnen mehr Vorbereitungszeit für die Berichterstattung bleibt. Und obwohl der angestrebte Bürokratieabbau grundsätzlich zu begrüßen ist, besteht die Gefahr, dass die geplanten Änderungen zu einer inhaltlichen Verwässerung dieser ESG-Regulierungen und zu einer geringeren Transparenz in der Nachhaltigkeitsberichterstattung führen. „ESG“ steht für „Environmental, Social and Governance“, also für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.

Um langfristig in nachhaltige Geschäftsmodelle zu investieren, benötigen Unternehmen Verlässlichkeit, um Strukturen anzupassen und notwendige Ressourcen zielgerichtet zu planen. Änderungen, intransparente Anforderungen oder kurzfristige Verschiebungen, wie durch das Omnibus-Paket, gefährden die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele und schwächen das Vertrauen in politische und regulatorische Prozesse. Für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation ist eine konsistente, transparente Gesetzgebung zwingend notwendig. Das Verfahren verdeutlicht, wie fragil die bisherigen Fortschritte durch die langjährigen Anstrengungen politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Akteure für verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten sind.

Ausblick & Handlungsempfehlung

Die Vorschläge werden aktuell durch das Europäische Parlament und den Rat geprüft. Zudem hat die Europäische Kommission die „European Financial Reporting Advisory Group“ (Efrag) mit Sitz in Brüssel, beauftragt, die Standards der Nachhaltigkeitsberichterstattung, die „European Sustainability Reporting Standards“ (ESRS) bis Ende Oktober 2025 zu vereinfachen und an die EU-Kommission zu übermitteln. Diese müssen dann aber noch durch die Kommission geprüft werden, bevor sie im Amtsblatt veröffentlicht werden.

Unternehmen sollten sich weiterhin auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung vorbereiten und mögliche Anpassungen aufmerksam verfolgen. Die nun gewonnene Zeit sollte strategisch für eine solide Vorbereitung für künftige Berichtspflichten genutzt werden. Dies beinhaltet das Implementieren von Prozessen, die Vorbereitung der Datenbeschaffung, den Aufbau interner Zuständigkeiten, die Auswahl von Software sowie die frühzeitige Einbindung externer Stakeholder.

Auch Unternehmen, die künftig möglicherweise nicht mehr der Berichtspflicht unterliegen, sollten nachhaltiges Wirtschaften keinesfalls vernachlässigen, denn es bleibt langfristig ein entscheidender Erfolgsfaktor. Zudem ist davon auszugehen, dass berichtspflichtige Kunden weiterhin ESG-relevante Informationen von ihren Lieferanten einfordern, auch wenn die geplanten Erleichterungen darauf abzielen, diese von übermäßigen Anforderungen durch große Abnehmer zu entlasten.

Last but not least gilt: Damit Unternehmen ihre Nachhaltigkeitstransformationsprozesse zielgerichtet und effizient gestalten können, braucht es vom Gesetzgeber klare Vorgaben, verlässliche Zeitangaben und langfristige Planbarkeit.

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Pauline Mahner ist in der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg für die Beratung im Bereich Nachhaltigkeitsberichterstattung zuständig. [email protected]

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