Sauberes Trinkwasser: Wassermanagement im antiken Rom
Römische Wasserleitungen offenbaren Wartung, Umnutzung und Technik: So funktionierte Wassermanagement im antiken Rom – entschlüsselt durch Kalk.

Überreste des Barbegal-Aquädukts in der Nähe von Arles. Die Römer waren Meister der Wasserwirtschaft, wie zwei neue Studien wieder belegen.
Foto: Smarterpix / phb.cz
Wasser war im antiken Rom weit mehr als ein Grundbedürfnis. Es war Teil einer hochkomplexen Infrastruktur, die nicht nur Versorgung sicherte, sondern auch Macht und Kontrolle widerspiegelte. Zwei aktuelle Studien zeigen nun, wie ausgeklügelt die Römerinnen und Römer ihre Aquädukte warteten, um Trinkwasser und Badekultur über Jahrhunderte hinweg aufrechtzuerhalten – und was Kalkablagerungen über Wartungspläne, Klimadaten und technische Eingriffe verraten.
Inhaltsverzeichnis
- Technisches Meisterwerk mit Gefälle
- Divona: Wartung mit System
- Reinigungsintervall von rund drei Jahren
- Arles: Mehrschichtiges Wassermanagement in der Provence
- Karbonat: Werkzeug der Forschung und Recyclingprodukt
- Bleirohre und der Siphon unter der Rhône
- Wassermanagement als Spiegel der Gesellschaft
Technisches Meisterwerk mit Gefälle
Das Fundament der römischen Wasserversorgung bildeten Aquädukte – langgestreckte Kanäle, die meist ein konstantes, leichtes Gefälle aufwiesen, um Wasser aus entfernten Quellen in die Städte zu leiten. Dabei kombinierten die Baumeister Felskanäle, gemauerte Tunnelsegmente, Brückenkonstruktionen und Druckleitungen. Besonders bekannt ist der römische Frontinus-Text „De aquaeductu urbis Romae“, in dem die Verwaltung und Wartung der römischen Wasserleitungen beschrieben wird. Doch wie diese Empfehlungen konkret umgesetzt wurden, blieb lange unklar.
Ein Team um Dr. Gül Sürmelihindi von der Universität Oxford und Prof. Dr. Cees Passchier von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat anhand von Kalkablagerungen, sogenannten Karbonaten, konkrete Hinweise auf Wartungspraktiken am Aquädukt von Divona (heute Cahors in Frankreich) gefunden. Die Leitung wurde im ersten Jahrhundert nach Christus errichtet und versorgte die gallorömische Stadt mit Wasser aus dem 31,6 Kilometer entfernten Vers-Tal.
Divona: Wartung mit System
Das Aquädukt von Divona zählt zu den ältesten Wasserleitungen im Gebiet des heutigen Frankreichs. Sein Verlauf beginnt an einer Quelle im Vers-Tal, einem kalkreichen Karstgebiet. Das Wasser wurde in einem offenen Kanal über 31,6 Kilometer hinweg bis zur Stadt geleitet. Der Kanal bestand teils aus in Fels gehauenen Abschnitten, teils aus Mauerwerk, das sich besser an die Topografie anpassen ließ.
Schon während des Transports begann sich Kalziumkarbonat abzuscheiden. Dieser Prozess wird durch die Entgasung von Kohlendioxid begünstigt, das mit dem Wasser aus der Quelle austritt. Die Folge: Kalk lagert sich an den Wänden und am Boden des Kanals ab. Diese Ablagerungen, auch als Aquäduktkarbonate bezeichnet, bilden ein Art geologisches Archiv.
Die Forschenden fanden in den Kalkschichten nicht nur jahreszeitliche Schwankungen, sondern auch mechanische Spuren: Kratzspuren, Absplitterungen und Druckstellen an Kalzitkristallen. Solche Merkmale entstehen, wenn Menschen Werkzeuge einsetzen, um die harten Ablagerungen zu entfernen. Auf diese Weise konnten sie über 88 Jahre hinweg insgesamt 28 Reinigungsereignisse identifizieren.

Gemauerter Kanal mit Opus Signinum als Wasserschutz.
Foto: Cees Passchier
Reinigungsintervall von rund drei Jahren
Die Wartung erfolgte im Durchschnitt alle 2,8 Jahre. Dabei kamen offenbar Werkzeuge wie Metallhacken oder spatelförmige Schaber zum Einsatz, um die Ablagerungen von den Kanalwänden zu lösen. Die dünnen, klar voneinander abgrenzbaren Kalkschichten zeugen davon, dass jede Reinigung sorgfältig ausgeführt wurde.
Ein bemerkenswerter Befund ist der saisonale Rhythmus: Keine der Reinigungen fand im Sommer statt. Daraus schließen die Forschenden, dass die Verantwortlichen gezielt wartungsarme Zeiten wählten, um eine stabile Wasserversorgung während der heißesten Monate sicherzustellen. Dies spricht für eine vorausschauende Planung.
Auch strukturelle Reparaturen konnten die Forschenden nachweisen. In zwei Fällen wurden Abschnitte des Kanals mit dem römischen Baustoff opus signinum – einer wasserundurchlässigen Mörtelmischung aus Ziegelmehl und Kalk – ausgebessert. Während dieser Arbeiten war der Wasserfluss vermutlich unterbrochen.
Die archäologischen Befunde stimmen auffallend gut mit den schriftlichen Empfehlungen von Sextus Iulius Frontinus überein, der um das Jahr 100 n. Chr. als Wasserbeauftragter (curator aquarum) in Rom tätig war. Er empfahl regelmäßige Inspektionen, Reinigungen in Intervallen von wenigen Jahren und eine zentrale Dokumentation aller Eingriffe. Was bisher nur aus antiken Schriften bekannt war, wird durch die Spuren im Kalk nun greifbar.
Arles: Mehrschichtiges Wassermanagement in der Provence
In der südfranzösischen Stadt Arles war die Wasserversorgung noch komplexer organisiert. Anders als in Divona bestand das System aus zwei voneinander unabhängigen Aquädukten, mehreren Verteilstationen, Bleileitungen und sogar industriellen Anwendungen. Die Forschenden kombinierten archäologische Funde mit geochemischen Analysen von Karbonaten, um die Funktionsweise und Geschichte dieses Systems nachzuvollziehen.
Das ältere Aquädukt wurde um 3 v. Chr. errichtet und brachte Wasser von der Südseite der Alpilles nach Arles. Dieses Wasser speiste zunächst ein Absetzbecken, das nicht nur der Sedimentrückhaltung diente, sondern auch als zentrale Verteilstation in der Stadt fungierte. Rund ein Jahrhundert später wurde ein zweites Aquädukt von der Nordseite der Alpilles gebaut. Es wurde in das bestehende System integriert, indem es am gleichen Absetzbecken angeschlossen wurde – allerdings architektonisch erkennbar an einer höheren Einmündungshöhe, was auf eine nachträgliche Einbindung schließen lässt.
Parallel dazu wurde das südliche Aquädukt umfunktioniert: Statt Wasser in die Stadt zu führen, leitete er es nun zu einer großen Wassermühlenanlage im benachbarten Barbegal weiter. Diese Anlage bestand aus 16 vertikal angeordneten Wasserrädern in zwei Reihen und gilt als eine der frühesten bekannten Formen industrieller Wassernutzung. Die Umleitung erforderte nicht nur bauliche Eingriffe, sondern auch eine völlig neue Steuerung der Wasserströme.

Die römischen Bäder in Arles. Im Vordergrund sind Betonblöcke aus der kollabierten Decke zu sehen, in denen die Forschenden Karbonate aus einem älteren Aquädukt fanden.
Foto: Cees Passchier
Karbonat: Werkzeug der Forschung und Recyclingprodukt
Bei Ausgrabungen in den Konstantinsthermen von Arles fanden Archäolog*innen eingestürzte Deckenteile, deren Mörtel mit Karbonatklumpen versetzt war. Eine Isotopenanalyse ergab, dass dieses Material identisch mit den Ablagerungen im nördlichen Aquädukt war. Das heißt: Die Kalkkrusten, die zuvor aus der Leitung entfernt worden waren, wurden beim Bau der Thermen als Füllstoff im Dachmörtel wiederverwendet. Damit lässt sich nicht nur das Material datieren, sondern auch der Zeitraum der Aquäduktnutzung bis in das frühe 4. Jahrhundert n. Chr. nachweisen.
Da die Karbonate stark mit Tonmineralien kontaminiert waren, kam eine Radiokohlenstoffdatierung nicht infrage. Stattdessen nutzten die Forschenden die stabilen Isotope von Sauerstoff und Kohlenstoff, um relative Alter und Ablagerungsphasen zu ermitteln. Dabei wurden Profilübereinstimmungen in verschiedenen Proben genutzt, um gleichzeitig abgelagerte Schichten zu identifizieren und deren ursprüngliche Position im System zu rekonstruieren.
Bleirohre und der Siphon unter der Rhône
Ein besonders spannendes Detail betrifft Bleirohre, die bereits im 19. Jahrhundert unter dem Flussbett der Rhône entdeckt wurden. Ihre genaue Funktion war lange ungeklärt. Durch die Analyse der Karbonatablagerungen im Inneren dieser Rohre konnten die Forschenden nachweisen, dass das Wasser aus dem Aquäduktsystem von Arles stammte. Es handelte sich um einen sogenannten inversen Siphon, bei dem das Wasser unter dem Fluss hindurchgedrückt wurde, um das gegenüberliegende Stadtviertel Trinquetaille zu versorgen.
Ein solcher Siphon erfordert ein exaktes Verständnis des hydrostatischen Drucks: Der Zulauf muss höher liegen als der Auslauf, damit das Wasser die tiefste Stelle unter dem Fluss aus eigener Kraft überwindet. Diese Technik zeigt, wie weit entwickelt die hydraulischen Kenntnisse der römischen Baumeister bereits waren.
Wassermanagement als Spiegel der Gesellschaft
Die beiden Studien liefern neue Erkenntnisse darüber, wie die Römer mit technischer Präzision, organisatorischem Aufwand und lokal angepassten Lösungen sauberes Trinkwasser über Jahrhunderte hinweg sicherstellten. Karbonatablagerungen fungieren dabei nicht nur als technisches Archiv, sondern auch als klimatisches und gesellschaftliches Gedächtnis. Die Ergebnisse bestätigen die schriftlichen Quellen über Wartungsintervalle und geben Hinweise auf wirtschaftliche Umbrüche, infrastrukturelle Anpassungen und den schleichenden Niedergang einst florierender Versorgungssysteme.
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