Stromnetze in Europa stöhnen unter Hitzewelle
In Italien Stromausfälle – wegen der Hitze, so der dortige Netztreiber. Schweiz und Frankreich schalten AKW ab. Das Energiesystem wird zunehmend durch das Klima geprägt.

Strommast und Fernleitungen vor blauem Himmel: In Italien gab es am 1. Juli Stromausfälle – wegen der Hitze, so der dortige Netztreiber. Schweiz und Frankreich schalten AKW ab. Das Energiesystem wird zunehmend durch das Klima geprägt.
Foto: PantherMedia / Jens Ickler
Schon am 1. Juli fiel in Italien in mehreren Städten der Strom aus. Florenz und Bergamo waren betroffen. Laut dpa arbeitete der italienische Energieversorger Enel daran, den Strom schnell wiederherzustellen. Der Ausfall der Stromnetze könnte „mit der Hitze zusammenhängen, die zu einer Überhitzung und Ausdehnung der Stromkabel geführt hat“, hieß es seitens des Konzerns. Und das zu einer Zeit, in der erst der Betrieb von Klimaanlagen vielen die nötige Abkühlung bringt. Weil das aber so viele machen, gerate dadurch das Netz an die Grenzen der Belastung, so dpa.
Hitze wirkt sich auf die Energieversorgung aus
Ganz klar: Die Hitzewelle betrifft sowohl die Erzeugung von Strom, wie seine Verteilung, also die Netze. Und die Strommärkte. Frankreich und die Schweiz schalten ihre AKW ab. Zum einen darf das Kühlwasser, was in diesen Fällen aus Flüssen stammt, nicht mehr zurückgeführt werden, wenn es mehr als 28° C warm ist. Der Umweltschutz. Um zweitens kann zu warmes Kühlwasser (zu hohe Flusstemperaturen) die Betreiber veranlassen, die Produktion zu drosseln.
Selbst in Deutschland ist die Hitze im Energiesektor spürbar. Höherer Bedarf für strombetriebene Kühlgeräte oder Klimaanlagen einerseits und die geringere Stromproduktion in Frankreich (abgeschaltete AKW) andererseits lassen die Börsenstrompreise steigen. Generell beeinflusst der Klimawandel die Energieversorgung – unter anderem eben dadurch, dass Hitzewellen häufiger vorkommen können als früher.
Was Hitze mit den Stromnetzen macht – Experte erklärt die Folgen
Jean-Paul Harreman, Direktor beim norwegischen Energiemarktanalysten Montel, hat in seinem Blogbeitrag untersucht, wie das Stromnetz des Kontinents auf die steigenden Temperaturen reagiert. Er identifiziert ein Missverhältnis zwischen Angebot, Nachfrage und Flexibilität – das sei „wie ein Kind, das eckige Stifte in runde Löcher steckt“, so der Experte in seiner Kolumne.
Die anhaltende Hitzewelle in ganz Europa bringe das ohnehin schon gestresste Stromnetz an seine Grenzen. Dazu trügen negative Tagespreise (Börsenstrompreise), steigende Kosten am Abend und volatile Ausgleichsmärkte bei. „Jeder Teil des Energiesystems ist für eine bestimmte Rolle, eine bestimmte ‚Form‘, ausgelegt“, so Harreman. „Aber die steigenden Temperaturen stören das Gleichgewicht. Die sorgsam austarierte Aufgabenverteilung ist futsch.
Das Ergebnis? „Eckige Nägel und runde Löcher“, so Harreman. Das derzeitige Modell der Netzform stoße an seine Grenzen. „Ohne Investitionen in flexible Kapazitäten und eine verstärkte Nutzung der Nachfragesteuerung werden die Belastung des Systems und die Kosten für die Aufrechterhaltung der Zuverlässigkeit weiter steigen“, schätzt er.
Hitze verändert Zeiten für den Strombedarf – und so Strommarkt und -preise
Die Hitzewelle führt zu einer sprunghaften Stromnachfrage vor allem durch Klimaanlagen und Kühlgeräte in den späten Nachmittags- und Abendstunden. „Diese Veränderung der Nachfragekurve führt zu einem früheren Anstieg am Morgen, einem höheren Mittagsverbrauch und stärkeren Spitzenwerten am Abend, die oft nicht mit den Zeiten übereinstimmen, zu denen erneuerbare Energien Strom erzeugen“, so der Montel-Direktor.
Während die Solarstromproduktion den Bedarf tagsüber abfangen kann, kommt der Bedarfsanstieg abends zur Unzeit. „Diese sogenannte Solarklippe führt zu erheblichen Ungleichgewichten auf dem Markt“, so Harreman. So seien Day-Ahead-Preise in Deutschland und Frankreich während der solaren Spitzenzeiten auf fast 100 €/MWh gesunken, um dann am frühen Abend wieder auf über 300 €/MWh zu steigen.
Flexibler Strom aus fossilen Brennstoffen hat seinen Preis
Also müssen andere Kraftwerke den abendlichen Bedarf decken. Wenn AKW hitzebedingt ausfallen, greift der Markt auch auf fossile Kraftwerke zurück, die dann eigentlich sehr schnell hochgefahren werden müssen. „Viele dieser Kraftwerke wurden nie für einen häufigen Stopp-Start-Betrieb ausgelegt, was zu erheblichen technischen und wirtschaftlichen Kosten führt, wenn sie auf diese Weise zum Ausgleich der Stromnetze eingesetzt werden“, erklärt Harreman. Sprich: Dieser Strom ist dann relativ teuer. Flexiblere Gaskraftwerke auf Motorenbasis und Biomassekraftwerke können da wesentlich flexibler reagieren, können aber nur einen gewissen Beitrag leisten.
Laut Harreman sind die Preise für Flexibilitäten ein Frühwarnsystem, die zeigten, „wo das Netz wirklich unter Druck steht“. In Deutschland wurden die Auktionen für Ausgleichsleistungen mit dem Doppelten der üblichen Sommerpreise abgeschlossen, erklärt er, in Italien erreichten die Beschaffungen von Schnellreserven Rekordhöhen.
Er ruft daher in seinem Blog dazu auf, sich unverzüglich mit langfristigen Strukturreformen zu befassen. „Europa braucht das ganze Jahr über mehr Flexibilität – durch Speicherung, nachfrageseitige Reaktion und ein intelligenteres Marktdesign“, sagte er. „Das Energiesystem wird zunehmend nicht nur durch die Technologie, sondern auch durch das Klima geprägt… man plant nicht für durchschnittliche Erzeugungszahlen, sondern für die Extreme, und genau darum geht es bei der Versorgungssicherheit“.
Hitze zwingt Atomkraftwerke in Offline-Modus
In der Schweiz hat Betreiber Axpo hitzebedingt einen der Reaktoren des Kernkraftwerks Beznau abgeschaltet, der zweite arbeite mit halber Leistung. Auch AKW-Betreiber EDF in Frankreich drosselte seine Atomstromproduktion. Die Anlage Golfech im Süden des Landes wurde heruntergefahren, die Leistung des westfranzösischen AKW Blayais reduziert. Das AKW Bugey steht unter Beobachtung. Laut EDF seien die Auswirkungen der Maßnahmen auf die Stromproduktion allerdings zu vernachlässigen, berichtet dpa. Ein derartiges Drosseln der Stromproduktion aus AKW hat hitzebedingt in den letzten Jahren immer wieder stattgefunden.
Hitze beeinflusst auch fossile Kraftwerke und Solar
Auch andere Kraftwerke brauchen Kühlung, Hitze kann sich auch auf ihren Betrieb auswirken. 2018 musste der Kraftwerksblock RDG7 im Karlsruher Rheinhafen seine Leistung um 140 MW drosseln. Das Steag- Steinkohle-Kraftwerk Bergkamen, um 150 MW.
Schließlich leidet auch die Solarstromerzeugung unter Hitze. Photovoltaik auf Basis der klassischen Silizium-Halbleitertechnik hat ein Optimum für die Stromerzeugung bei 24° C/25° C. Gemeint ist hier nicht die Lufttemperatur, sondern die des PV-Moduls selbst. Darüber sinkt der Wirkungsgrad um zwischen 0,35 % bis 0,45 % pro Grad, so das Fraunhofer ISE. Andere wissenschaftliche Quellen geben 0,4 %/° K an. Den genauen Wert geben die Modulhersteller üblicherweise im technischen Datenblatt mit einer besonderen Kenngröße an, dem Temperaturkoeffizient.
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