Satellit enthüllt geheime Kräfte der Ozeane und wirft Fragen auf
SWOT-Satellit zeigt, wie kleine Ozeanwirbel Energie und Wärme weltweit verteilen – mit Folgen für Wetter, Klima und Modelle.

Der Satellit „Surface Water and Ocean Topography“ (SWOT) ermöglicht es Forschern erstmals, kleine Prozesse in den Ozeanen weltweit direkt zu beobachten.
Foto: NASA/JPL/SWOT
Ein neuer Satellit verändert den Blick auf unsere Ozeane: SWOT misst kleinste Strömungen mit nie dagewesener Genauigkeit. Forschende entdecken, dass diese oft übersehenen Bewegungen entscheidend für das Klimasystem sind – und unsere bisherigen Modelle in Frage stellen.
Inhaltsverzeichnis
Ein neues Fenster zum blauen Planeten
Die Ozeane bedecken rund 70 % der Erdoberfläche und beeinflussen maßgeblich das globale Klima. Doch bis vor Kurzem war ein entscheidender Teil ihres inneren Mechanismus kaum messbar: submesoskalige Prozesse. Das sind kleinräumige, oft nur wenige Kilometer breite Strömungen und Wellen, die sich unterhalb der Auflösung herkömmlicher Satellitensysteme abspielen.
Ein internationales Forschungsteam hat nun mithilfe des SWOT-Satelliten (Surface Water and Ocean Topography) erstmals ein vollständiges Bild dieser bisher verborgenen Dynamik erstellt – mit überraschenden Erkenntnissen.
Was sind submesoskalige Prozesse?
In der Ozeanographie versteht man unter „Submesoskalen“ Bewegungen, die sich zwischen etwa 1 und 100 Kilometern abspielen. Dazu zählen kleine Wirbel, interne Wellen und steil gekrümmte Fronten. Sie treten besonders häufig dort auf, wo warme und kalte Wassermassen aufeinandertreffen oder Unterwasserhindernisse wie Schwellen oder Grate vorhanden sind.
Obwohl diese Strukturen meist nur wenige Stunden oder Tage bestehen, haben sie einen spürbaren Einfluss auf die Energiebilanz der Meere. Sie transportieren Wärme, Nährstoffe und Kohlenstoff und verbinden tiefe mit oberflächennahen Wasserschichten. Das macht sie zu einem zentralen Faktor für die biologische Produktivität – und für das globale Klimasystem.
Der Technologiesprung mit SWOT
Konventionelle Satellitenaltimeter lieferten bislang nur Informationen über große Strömungen wie den Golfstrom oder die Antarktische Umströmung – mit einer räumlichen Auflösung von rund 100 Kilometern. Kleinere Prozesse verschwanden im Messrauschen.
Mit dem 2022 gestarteten SWOT-Satelliten ändert sich das. Sein zentrales Instrument, ein sogenannter Ka-Band Radarinterferometer (KaRIn), misst winzige Höhenunterschiede der Wasseroberfläche – mit einer Auflösung von etwa einem Kilometer. Das entspricht einer Verzehnfachung gegenüber bisherigen Systemen.
Der Clou: SWOT erstellt nicht nur punktuelle Höhenprofile, sondern flächendeckende Karten der Wasseroberfläche. Dadurch lassen sich Strukturen erkennen, die vorher unsichtbar blieben.
Unerwartet stark – und allgegenwärtig
Die ersten Auswertungen überraschten selbst erfahrene Meeresforschende. „Zum ersten Mal können wir kleine Prozesse im Ozean rund um den Globus direkt beobachten“, sagt Jinbo Wang von der Texas A&M University, der zuvor am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA tätig war. „Und es stellt sich heraus, dass sie viel stärker sind, als wir dachten.“
Beispiel Andamanensee: Dort beobachtete SWOT interne Wellen mit Amplituden bis zu 20 Zentimetern und Wellenlängen von fünf Kilometern. Ihre Energieflüsse liegen bei rund 8 Kilowatt pro Meter – ein Vielfaches bisheriger Schätzungen.
Vor der südafrikanischen Küste registrierte SWOT zudem einen 15 Kilometer großen Wirbel mit 15 Zentimetern Höhenunterschied und Strömungen von über einem Meter pro Sekunde. Er befand sich nicht im üblichen Gleichgewicht, sondern im sogenannten cyclogeostrophischen Zustand – eine Balance, die zusätzlich zur Erdrotation auch Zentrifugalkräfte berücksichtigt.
Auswirkungen auf Wetter und Klimamodelle
Die neuen Daten zeigen: Submesoskale Wirbel und Wellen transportieren deutlich mehr Energie und Wärme als bislang angenommen. In Regionen wie der Kuroshio-Extension konnten Forschende Vertikalbewegungen von bis zu 14 Metern pro Tag nachweisen. Solche Prozesse beeinflussen, wie sich Meereswärme an der Oberfläche verteilt – und damit auch, wie stark Wasser verdunstet.
Das hat direkte Auswirkungen auf Wetterphänomene wie Hurrikane, die Entwicklung von El Niño und La Niña oder langfristige Klimamuster. Zudem zeigen sich Diskrepanzen zu aktuellen Klimamodellen: Die gemessenen Höhenunterschiede (SSH-Gradienten) sind teilweise dreimal so groß wie in den besten globalen Simulationen.
Grenzen und Herausforderungen
Trotz aller Fortschritte gibt es auch Herausforderungen. SWOT überfliegt jede Position auf der Erde nur alle 21 Tage. Kurzlebige Ereignisse können deshalb leicht übersehen werden. Zudem überlagern sich Wellen- und Strömungssignale, was eine saubere Trennung erschwert. Die klassischen Berechnungsmodelle – etwa das geostrophische Gleichgewicht – reichen nicht mehr aus. Forschende müssen nun zusätzliche Faktoren wie das Gradientwind-Gleichgewicht einbeziehen.
Internationale Zusammenarbeit
Die SWOT-Mission ist das Ergebnis jahrzehntelanger Planung. Die NASA und die französische Raumfahrtagentur CNES führten das Projekt an, unterstützt durch Partner in Kanada und Großbritannien. Insgesamt beläuft sich das Budget auf rund 1 Milliarde Dollar.
„Viele der Beteiligten sind inzwischen im Ruhestand“, sagt Shari Yvon-Lewis von der Texas A&M University. „Das ist eine Hommage an die langfristige Vision und das Engagement vieler Menschen.“
Blick in die Zukunft
Die neuen Messdaten eröffnen zahlreiche Möglichkeiten. Künftig lassen sich Energieflüsse zwischen unterschiedlichen Skalen systematisch quantifizieren. Auch die Interaktion zwischen internen Wellen und Wirbeln kann global analysiert werden. Das hilft nicht nur der Ozeanographie, sondern auch der Klimaforschung, der Wettervorhersage und der Ökologie.
Zudem bietet SWOT Potenzial für andere Anwendungsbereiche – etwa zur Beobachtung von Binnengewässern, zur Analyse des Meeresspiegelanstiegs in Küstenregionen oder zur präzisen Kartierung von Gravitationsfeldern unter Wasser.
Ein Beitrag von: