Airline in der Krise 02.07.2025, 06:45 Uhr

Air-India-Absturz – was weiß man wirklich?

Sabotage möglich? Ermittlungen nach dem Absturz von AI-171 laufen, Air India kämpft mit weiteren Vorfällen.

Air India

Air India steht unter Druck: Nach dem Absturz der 787 werden Flüge ausgesetzt und Triebwerksfragen laut.

Foto: Smarterpix / rarrarorro

Nach dem verheerenden Absturz von Flug AI-171 in Ahmedabad, bei dem 274 Menschen ums Leben kamen, steht Air India massiv in der Kritik. Die offizielle Unfallanalyse läuft nur schleppend. Gleichzeitig häufen sich Hinweise auf technische Defizite, interne Missstände – und möglicherweise sogar Sabotage. Neue Vorfälle sorgen für zusätzliche Unruhe. Die Situation wird zur Belastungsprobe für die gesamte indische Luftfahrt.

Zwischen Fakten, Gerüchten und Fakes

Noch bevor sich die Behörden offiziell äußerten, überschwemmten auf YouTube und in sozialen Medien angebliche Unfallanalysen das Netz – viele davon mit frei erfundenen Details, Fallnummern oder angeblichen Wartungsfehlern. Oft wurden die Videos mit künstlicher Intelligenz generiert. Für Außenstehende kaum zu erkennen, was wahr ist – und was nicht.

„Diese Kommunikationsschwäche hat ein Vakuum geschaffen, das natürlich sofort mit Spekulationen gefüllt wird“, zitiert airliners.de einen Luftfahrtexperten. Ein besonders populärer Beitrag behauptete etwa, Feuchtigkeit habe ein bekanntes elektrisches Problem der Boeing 787 ausgelöst. Einen Beweis? Gibt es bislang nicht.

Stellenangebote im Bereich Fahrzeugtechnik

Fahrzeugtechnik Jobs
DNV GL SE-Firmenlogo
Lead Auditor Automotive (m/w/d) DNV GL SE
Hamburg, Essen Zum Job 
FRIWO-Firmenlogo
Senior Softwareentwickler Embedded Systems / C/C++ (m/w/d) FRIWO
Ostbevern Zum Job 
Dekra Automobil GmbH-Firmenlogo
Sachverständiger Krane (m/w/d) Dekra Automobil GmbH
Heilbronn, Schwäbisch Hall Zum Job 
Dekra Automobil GmbH-Firmenlogo
Unfallanalytiker Verkehrsunfälle / Kfz Sachverständiger Unfallrekonstruktion (m/w/d) Dekra Automobil GmbH
Dekra Automobil GmbH-Firmenlogo
Prüfingenieur Fahrzeuge / Kfz Sachverständiger (m/w/d) ggf. zur Weiterbildung Dekra Automobil GmbH

Gesicherte Informationen – was wir bisher wissen

Bislang sind nur zwei Fakten bestätigt: Kurz vor dem Aufprall wurde die sogenannte Ram Air Turbine (RAT) aktiviert – ein Notstromsystem, das bei einem Totalausfall der Energieversorgung automatisch ausfährt. Außerdem wurde ein Vogelschlag inzwischen ausgeschlossen.

Die Hoffnung liegt auf den beiden Blackboxen, die nach dem Absturz geborgen wurden. Eine lag auf einem Hausdach, die zweite wurde drei Tage später in den Trümmern gefunden. Beide sind laut Behörden vollständig auslesbar.

Hightech-Datenspeicher: Was verraten die Blackboxen?

Im Zentrum der Analyse steht der sogenannte Enhanced Airborne Flight Recorder (EAFR), der bei der Boeing 787-8 zum Einsatz kommt. Anders als ältere Systeme kombiniert er Flugdatenschreiber und Cockpit Voice Recorder in einem Gerät. Die Dreamliner führen zwei solcher Einheiten – eine im Bug, eine im Heck.

Die Rekorder erfassen über 2.000 verschiedene Parameter: von Geschwindigkeit, Kurs und Flughöhe bis hin zu Triebwerksdaten, Cockpitgesprächen und kleinsten akustischen Signalen. Selbst Warnklicks oder das Öffnen einer Cockpittür bleiben nicht unbemerkt. Die Auswertung kann Wochen dauern – liefert aber ein extrem detailliertes Bild der letzten Flugsekunden.

Dank unabhängiger Notstromversorgung können die Geräte auch bei völliger Stromlosigkeit bis zu zehn Minuten weiter aufzeichnen. Weil AI-171 weniger als eine Minute in der Luft war, gilt die Datenbasis als vollständig.

Systemversagen durch Stromausfall?

Der Einsatz der Ram Air Turbine lässt auf ein massives technisches Problem schließen. Die RAT erzeugt im Notfall Strom aus Fahrtwind – reicht aber nur für ausgewählte Systeme. In der Regel wird sie nur bei doppeltem Triebwerksausfall oder Totalausfall der Bordelektrik aktiviert.

Die Boeing 787 gilt als hoch elektrifiziertes Flugzeug. Viele Funktionen, die früher hydraulisch oder pneumatisch gesteuert wurden, laufen hier elektronisch. Das erhöht die Effizienz – aber auch die Fehleranfälligkeit. Ein zentraler elektrischer Defekt könnte sogar beide Triebwerke gleichzeitig lahmgelegt haben. Ob das hier zutrifft, ist noch unklar.

Sabotage? Ermittlungen in alle Richtungen

Der indische Staatsminister für Zivilluftfahrt, Murlidhar Mohol, erklärte, das AAIB prüfe auch die Möglichkeit einer gezielten Sabotage. „Es ist noch nie zuvor vorgekommen, dass beide Triebwerke eines Flugzeugs direkt nach dem Start gleichzeitig ausfallen“, sagte Mohol. Auch andere Szenarien würden „aus allen Blickwinkeln“ untersucht.

Neuer Zwischenfall kurz nach dem Absturz

Nur 38 Stunden nach dem Absturz von AI-171 kam es zu einem weiteren Zwischenfall – diesmal bei Flug AI-187 von Delhi nach Wien. Kurz nach dem Start verlor die Boeing 777 mit der Kennung VT-ALJ rund 274 Meter an Höhe. Die Crew erhielt mehrere Warnungen, darunter eine zum Strömungsabriss sowie zwei sogenannte „Don’t sink“-Alarme – Hinweise auf akute Bodennähe.

Trotz allem gelang es den Pilot*innen, das Flugzeug zu stabilisieren. Der Flug wurde nach Österreich fortgesetzt. Beide Crewmitglieder wurden inzwischen suspendiert. Brisant: Interne Berichte erwähnten zunächst nur eine harmlose „Stick shaker“-Warnung durch Turbulenzen. Erst beim Auslesen des Flugdatenschreibers kamen die weiteren Alarme ans Licht.

Der Vorfall ereignete sich während eines Gewitters – mitten in der Monsunzeit. Ob das Wetter eine Rolle spielte, ist offen. Klar ist: Air India überprüfte nach dem Absturz nicht nur alle Boeing 787, sondern auch ihre Boeing 777-Flotte. Infolge dessen wurde der Flugplan ausgedünnt.

Internationale Kritik – und politische Zurückhaltung

Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB unterstützt das indische AAIB bei der Auswertung. Doch viele Fachleute beklagen mangelnde Transparenz. Jennifer Homendy, Vorsitzende der NTSB, appellierte öffentlich: „Im Interesse der Flugsicherheit, der öffentlichen Sicherheit und der Aufklärung der Öffentlichkeit hoffen wir, dass sie ihre Ergebnisse rasch veröffentlichen.“

Zugleich lehnte Indien ein Hilfsangebot der UN-Zivilluftfahrtorganisation ICAO ab. Ein entsandter Experte wurde nicht zugelassen. Die Gründe bleiben unklar. Eine vollständige Liste der beteiligten Fachleute fehlt bislang.

Interne Krise bei Air India

Neben den technischen Problemen spitzt sich auch die interne Krise bei Air India zu. Drei Führungskräfte des zentralen Einsatzleitzentrums wurden bereits suspendiert. Der Grund: Versäumnisse in der Kommunikation mit Angehörigen und technische Defizite. Zudem wurde eine baugleiche Boeing 787-8 aus dem Verkehr gezogen.

Zahlreiche Flüge nach Europa, in den Nahen Osten und in die USA mussten gestrichen werden. Das Vertrauen in die Airline schwindet.

Reputationsverlust und Partyskandal

Einst war Air India ein Symbol für Qualität und Pünktlichkeit. Heute kämpfen Angehörige nicht nur um Aufklärung, sondern auch gegen Ignoranz. Besonders empörend: Nur Tage nach dem Absturz feierten Mitarbeitende eines mit Air India verbundenen Serviceunternehmens eine laute Party. Videos davon kursieren im Netz. Vier Führungskräfte wurden daraufhin entlassen.

Tata-Group-Chef N. Chandrasekaran kündigte zwar Reformen an – doch viele Betroffene sehen bislang wenig Veränderung. Die Aufarbeitung des schlimmsten Flugzeugunglücks Indiens seit Jahren bleibt zäh. Und mit jedem neuen Vorfall wächst der Druck – nicht nur auf die Airline, sondern auch auf den Staat.

 

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

Themen im Artikel

Zu unseren Newslettern anmelden

Das Wichtigste immer im Blick: Mit unseren beiden Newslettern verpassen Sie keine News mehr aus der schönen neuen Technikwelt und erhalten Karrieretipps rund um Jobsuche & Bewerbung. Sie begeistert ein Thema mehr als das andere? Dann wählen Sie einfach Ihren kostenfreien Favoriten.

OSZAR »